Duisburger Stickergeschichte: Stickerphilosophie

Veröffentlicht am 22. August 2025 um 16:51

Direkt am Dellplatz findet sich auf einem Stromverteilerkasten ein Sticker, der schon einiges mitgemacht zu haben scheint, Teile der Botschaft sind von einem schwarzen Filzstift übermalt. Lediglich der unterhalb der Schrift angebrachte Kopf mit Brille ist noch zu erkennen. Mit seiner gelben Optik und dem Layout erinnert der Aufkleber an die bekannteste Reihe eines Stuttgarter Buchverlages, dessen Angebot vor allem Klassiker der Literatur und der Philosophie umfasst. Allerdings wird hier kein Werk von Goethe oder Schiller beworben: Rekonstruiert man die Botschaft des Aufklebers, stößt man auf die Parole „Randale, Bambule, Frankfurter Schule“, die in den 1990er Jahren von linken Protestierenden gerufen wurde. Diese wollten insbesondere mit der Anspielung auf die Frankfurter Schule auf die progressiven Denkrichtungen der 1960er Jahre hinweisen. Der abgebildete Mann mit Brille ist dann auch mit einem der wichtigsten Vertreter der Frankfurter Schule – Theodor W. Adorno – zu identifizieren.   

Obwohl die Anspielungen auf dem Sticker heute nur noch von wenigen dechiffriert werden können, sind die – stark verkürzten und aus dem Kontext gerissenen – Erkenntnisse der Kritischen Theorie wie sie die Frankfurter Schule betrieb, in Duisburg in guter Gesellschaft. Weitere Philosophiesticker erregten in den 2010er Jahren Aufmerksamkeit in der Stadt. Von den Arbeiten fehlt heute jedoch jede Spur, sodass nur noch Bilder auf den Blogs von Helmut Loeven und Heinrich Hafenstaedter an die kleinen Philosophen erinnern.

In Szene gesetzt wurde damals der französische Philosoph Michel Foucault, der als ein Vordenker der Diskursanalyse gilt. Nachweislich hing 2017 ein Foucault-Aukleber an der Friedrich-Wilhelm-Straße an einem Stromverteiler zwischen Cubus-Kunsthalle und Lehmbruckmuseum. Im Zentrum stand das gezeichnete Gesicht Foucaults, darüber und darunter mehrere Sprechblasen. In der größten war eine Sentenz zu finden, die aus Foucaults Werk „Überwachen und Strafen“ in seiner deutschen Übersetzung von 1976 stammen könnte.  

„Die Disziplin belohnt durch Beförderung, durch Verleihung von Rängen und Plätzen; sie bestraft durch Zurücksetzungen.“ Die anderen Sprechblasen um den Foucault-Kopf relativierten die gesellschaftskritische Aussage, die bei Foucault ursprünglich vor allem im Zusammenhang mit der Hierarchisierung als Form der Disziplinarmacht zu finden ist, die von den Strafanstalten aus in andere gesellschaftliche Systeme wanderte.

Ein Fragezeichen und das englische Wort „What?“ lassen Zweifel daran, ob der Sticker-Foucault von seiner eigenen Aussage überzeugt ist. Fundamentalkritik an dem Philosophen übt darüber hinaus eine Sprechblase unterhalb des Namens Foucault, in die das Wörtchen „Gesundheit!“ geschrieben wurde. 

Das gleiche Vorgehen ist bei einem weiteren Foucault-Sticker zu beobachten, der ebenfalls 2017 an einem, allerdings nicht näher zu bestimmenden Ort in der Innenstadt angebracht war. Der Satz „Das Problem liegt derzeit in dem großen Aufstieg der Normalisierungsanlagen: In der ungeheuren Ausweitung ihrer Machteffekte mit Hilfe neu eingesetzter Erkennungsmöglichkeiten.“ wird ebenfalls über weitere Sprechblasen abgeschwächt. 

Obwohl das Medium Sticker sich vor allem für kurze und prägnante Aussagen eignet, waren und sind in Duisburg auch Aufkleber zu finden, die Fragen der menschlichen Existenz behandeln. Vor allem die beiden verschwundenen Foucault-Sticker machen aber deutlich, dass man auch die kompliziertesten Sätze der größten Denker nicht unhinterfragt lassen kann. Ferdinand Leuxner

Abb. 1: Reclam-Adorno, Leuxner 2025.

Abb. 2: Foucault und Disziplin, Friedrich-Wilhelm-Straße, Helmut Loeven 2017.

Abb. 3: Foucault und Normalisierungsanlagen, unbekannter Standort, Heinrich Hafenstaedter 2017.

 

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