
Die Straßen Duisburgs sind voller Sticker. Und obwohl sich die kleinen Kleber vielerorts keine Konkurrenz machen (Platz ist ja eigentlich genug für alle da), sieht man immer wieder Stickersandwiches: Unterhalb von selbstbewusst platzierten Exemplaren blitzt ein anderer hervor, der vorher an der Stelle klebte. Das Beispiel aus der Neudorfer Bismarckstraße, Ecke Gustav-Adolf-Straße macht deutlich, dass es viele Gründe gibt, warum man andere Sticker zum Verschwinden bringen möchte.
Als unterste, noch zu identifizierende, Schicht des Sticker-Sandwichs erkennt man einen gelb-rot-schwarzen „Refugees welcome“-Aufkleber. Sein Bild, eine fliehende Gruppe Menschen, wurde erstmals als Verkehrszeichen in den USA verwendet. In den südlichen Landesteilen warnten Verkehrsschilder vor, die Highways querende mexikanische Geflüchtete. 2003 tauchte es erstmals im Kontext einer politischen Stellungnahme auf Stickern in Berlin auf.
Das Statement, das sich zu einem Zeichen für Offenheit und Toleranz entwickelte, war in Neudorf dem nächsten Stickernden ein Dorn im Auge: Auf rotem Hintergrund und gelber Schrift wurde eine Nachricht darüber geklebt, deren Schlagworte darauf hindeuten, dass es sich um eine Botschaft von zuwanderungskritischer Seite handelt. Mit dem aus der Jägersprache stammenden Wort „Hetze“ wird „laut Duden die Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen oder Handlungen bezeichnet, die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden oder etwas erzeugen.“ (Wikipedia, Hetze).
Das Überkleben des Geflüchtetenstickers bildete aber nicht das Ende des Meinungsstreits: Spuren auf dem Sticker zeigen, dass ein weiterer Aufkleber unbekannten Inhalts geklebt und später wieder abgerissen wurde. Eine vierte Schicht – ein Vogel im Comic-Stil – versucht dagegen einen Kompromiss: Zwar überklebt er die Meinung des roten Stickers und bringt hierdurch Protest zum Ausdruck. Allerdings bleibt die Schrift weitgehend sicht- und entzifferbar.
Das Neudorfer Sandwich macht deutlich: Stickern ist eine Form der Kommunikation. Menschen verbreiten über die kleinen Kleber ihre Meinung in der Stadt. Meinungen, die in das Weltbild des Stickernden passen, werden unterstützt, indem die Sticker nebeneinander geklebt werden: Solche Stellen werden bunter und sind dadurch von Passant*innen leichter ausfindig zu machen. Manchmal sieht man sogar gegenseitige Hilfeleistungen, wenn Aufkleber, die an den Rändern bereits ihre Haftfähigkeit verlieren, durch neuere, klebekräftigere Exemplare unterstützt werden. Passt einem Stickernden die vorgefundene Meinung oder das Dargestellte allerdings nicht, kann es sein, dass sie verschwindet.
Diese visuelle Okkupation ist bereits in den Anfängen der Street-Art-Kultur angelegt. Schon bei den frühen Graffiti-Arbeiten, die in den 1970er Jahren in New York entstanden, wurde gesprayt und übersprayt, wenn die Ästhetik bei der Konkurrenz nicht ankam. Und – wie jüngst der Schriftsteller Helmut Loeven auf seinem Blog darlegte – auch die Duisburger*innen überklebten zwischen 1969 und 2000 regelmäßig das Straßenschild der Oststraße, weil ihnen die Umbenennung in Klöcknerstraße nicht passte. Heute findet sich dieser Meinungsstreit vor allem bei Stickern mit politischen Inhalten. Aber auch die Fußballsticker konkurrieren mit dieser Form des Bildersturms miteinander.
Dabei kämpft jede neue Schicht eines Sandwichstickers auf verlorenem Posten: Die Vielfalt der Sticker in Duisburg macht es unmöglich, dass eine Meinung oder Strömung zur allein Vorherrschenden werden kann. Alle werden an den Wänden nur geduldet – der MSV-Fan, der sich in der Mehrheit wähnt, genauso wie der Anhänger eines sicherlich gewöhnungsbedürftigen Softdrinks mit Hansa-Pils-Geschmack. Allerdings ist in kleineren Gemeinden immer wieder eine Dominanz bestimmter Gruppen zu beobachten. Ferdinand Leuxner

Abb.en Leuxner, 2025
Zum Weiterlesen:
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Dörte Matzke: HU. Refugees Welcome. Online im Internet: Dörte Matzke › HU Refugees Welcome, abgerufen am 26. August 2025.
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Anna Waclawek: Graffiti und Street Art. Berlin, München 2012. S. 13.
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Spiegel Online: Brandenburg: Wachsender Neonazi-Einfluss in Spremberg – Bürgermeisterin schlägt Alarm - DER SPIEGEL, abgerufen am 26. August 2025.
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Helmut Loeven: Seit 25 Jahren bleibt Oststraße immer noch Oststraße | Amore e rabbia, abgerufen am 6. September 2025.
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Kommentare
Dass Das refugees Symbol ursprünglich ein Verkehrsschild war wusste Ich nicht, das ist sehr interessant.
Und die Bezeichnung "Bildersturm" werde ich ab jetzt übernehmen wenn es um überklebte Sticker geht 🤣