
Stickern regt die Fantasie an. Im Wasserviertel, verdichtet an der Ecke Pulverweg-Moselstraße, hat ein Street-Artist Werke gestaltet, die im Besonderen an die Fantasie der Vorübergehenden appellieren: Die achsensymmetrischen Bilder mit ihren fließenden Formen erinnern an die berühmten Rorschachtests.
Die Tests gehen auf den Schweizer Psychiater Hermann Rorschach zurück. „Der Test besteht aus zehn Tafeln mit speziell aufbereiteten Tintenklecksmustern. Es gibt weltweit fast ein Dutzend Parallelserien, von denen die meisten nicht frei im Handel erhältlich sind.“ (Wikipedia, Rorschachtest) In einer festgelegten Reihenfolge werden die Muster dann den Patient*innen vorgelegt. Diese sind anschließend dazu aufgerufen, sich Gedanken zu den Bildern zu machen. „Falsche“ oder „Richtige“ Antworten gibt es dabei nicht.
Die Sticker im Wasserviertel sind auf unterschiedlichen Bildträgern aufgebracht. Sie weisen außerdem verschiedene Formate auf. Das größte Werk befindet sich an einem Stromverteiler. Die Spiegelung erfolgte hier in der Horizontalen. Konzentriert man den Blick nur auf die obere Hälfte der Arbeit, erscheint eine Kombination aus Ziffern und Buchstaben – der Autor erkennt das Wort A E S T 1.
Im Unterschied zu den Tests aus der Geschichte der Psychotherapie weisen die Arbeiten in Duisburg einen feineren Strich auf. Die feingliedrigen Ränder, zusammen mit dem durch die Spiegelung geschaffenen, breiteren Faltbereich, erinnern vielmehr an Bilder aus der Medizin: Röntgenbilder proijzieren den dreidimensionalen, menschlichen Körper auf eine zweidimensionale Fläche und durchleuchten ihn. Hervorgehoben werden dabei dichte Strukturen wie Knochen, die sich an der Wirbelsäule aufreihen.
Mit ihren an menschliche Formen erinnernde Striche wecken die Bilder auch historische Assoziationen. Sie erinnern an eines der bekanntesten Leinentücher der Welt: Das sogenannte Turiner Grabtuch „wird von vielen Gläubigen als das Tuch verehrt, in dem Jesus von Nazaret nach der Kreuzigung begraben wurde“. (Wikipedia, Turiner Grabtuch) Obwohl das Stück Stoff für die katholische Kirche als Überrest eines Heiligen – als sogenannte Reliquie gilt, gehen neuere Forschungen davon aus, dass es sich um ein im 14. Jahrhundert mit Temperafarben bemaltes Tuch handelt.
Egal ob Rorschach, Röntgen oder Reliquie, die kleinen Objekte im Wasserviertel machen eines jedenfalls deutlich: Stickern regt die Fantasie an. Ferdinand Leuxner
Alle Abb. Foto: Leuxner, 2025.
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