Sticker dienen der Werbung. Immer wieder stößt man auf den Straßen Duisburgs und auch in diesem Blog auf klebende Hinweiszettel für lokale Tätowierer, Onlineshops für Skatezubehör oder Sticker von Kulturinstitutionen. Dabei ist das Aufkommen von Stickern im öffentlichen Raum doch eigentlich mit einer wesentlich konsumkritischeren Haltung in Verbindung zu bringen. Und so treten neben die echten Werbe-Aufkleber immer wieder Sticker, die nur so tun, als würden sie das vorgestellte Produkt bewerben.
Wer kennt nicht die kleinen Kleber, die scheinbar von großen Marken in Auftrag gegeben wurden. Auf den zweiten Blick wird die Botschaft aber ad absurdum geführt. Als Beispiel dient hier die Getränkeverpackung eines zuckerhaltigen Fruchtsaftes, die sich an vielen Stellen in Duisburg auf Stickern findet. Statt für beliebte Sorten Werbung zu machen, wählte man eine Biermarke, die in dieser Form nicht zum Repertoire des Anbieters gehört. Der Effekt: Im besten Fall regt der Aufkleber eine Reflexion über die Auswahl der Sorten beim echten Produkt an.
Die Idee zu solchem Adbusting (engl. für „Werbung auffliegen lassen oder deutlich machen“) ist aber wesentlich älter, als es die modernen Produktauswahl vermuten lässt. „Der ganze Raum ist schon besetzt von dem Feind, der alles bis zu den Grundregeln dieses Raumes für seinen Gebrauch gezähmt hat […]. Die Freiheit zu materialisieren, heißt zuerst, dieser gezähmten Welt einige Parzellen ihrer Oberfläche zu entziehen.“ Der ungarische Architekt Attila Kotányi und der belgische Philosoph Raoul Vaneigem veröffentlichten diesen Satz im Jahr 1961.
Er ist Teil eines Theorietextes, in dem die beiden Autoren eine neue Stadtentwicklung forderten. Statt die Stadt weiterhin von Hegemonen – die hier zugespitzt als Feinde bezeichnet werden – gestalten zu lassen, bringen die beiden Autoren den Eingriff von anderen Akteuren ins Spiel. Kotányi und Vaneigem waren Teil einer emanzipativen Gruppe, der Situationistischen Internationale, die sich mit der Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben auseinandersetzte und 1957 gegründet wurde.
Kotányi und Vaneigem machten bereits in ihrem zweiten Punkt deutlich, dass sie die Stadt als Werbeplattform für Produkte ablehnten: „Die Entwicklung des städtischen Milieus ist die kapitalistische Dressur des Raumes.“ Sie thematisierten damit die Werbebanner, die sich in der westlichen Stadt der Nachkriegszeit überall in den Zentren der nordamerikanischen und europäischen Metropolen erhoben. Ziel war es, diese „Dressur“ zu beenden.
Auszubildende und Studierende, die sich von den revolutionären Ideen der Situationisten bewegen ließen, waren dazu aufgerufen, ihre eigene Geschichte im öffentlichen Raum zu konstruieren. Jedes Mittel war erlaubt, um diesen Raum aufzubrechen. Was lag näher, als im Kleinen anzufangen? Im ganz Kleinen. Mit Stickern. Die ersten Adbusting-Sticker aus Duisburg sind für das Jahr 1982 überliefert, als Unbekannte das Logo eines weiteren großen Erfrischungsgetränke-Herstellers als Werbung für eine K-Gruppe heranzogen. Ferdinand Leuxner
Abb. 1: Durstlöscher, Leuxner 2025.
Abb. 2: Rot-Front, Archiv für alternatives Schrifttum.
Zum Weiterlesen:
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Marvin Chlada, Bernd Kalus (Hg.): Situationistische Internationale (= Texte zur Dialektik Bd. 7). Duisburg, Istanbul 2016.
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Nora Schmidt: Das Trottoir als Galerie. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Street Art (= Socialia Bd. 5). Hamburg 2009.
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